Bericht einer jungen Frau mit FASD

ÜBERFORDERUNG, CHAOS, VERZWEIFELUNG...
...„wenn ich mit drei Worten mein Leben beschreiben sollte, so würde ich diese drei wählen. Ich würde so gerne ein ganz normales selbstbestimmtes Leben führen, aber mein Gehirn funktioniert nicht so, wie es sein sollte.“ Das sagt eine junge Frau mit FASD und schildert ihren Alltag.

In den vergangenen Wochen habe ich kein einziges Mal geschafft, mich vor 3 Uhr morgens schlafen zu legen. Aber schon gegen 7 Uhr war ich jedes Mal wieder wach.
Selten schaffe ich es mal, mehr als 4 Stunden durchzuschlafen. Dennoch bin ich tagsüber ständig wie unter Strom, ruhelos und aufgedreht.

Jeden Morgen denke ich mir: Das kann doch nicht so schwer sein, das ganze Zeug, was hier überall verstreut ist, aufzuräumen. Der Weg ins Bad ist mühsam, weil ich über alles drüber weg steigen und aufpassen muss, wo ich hintrete. Ich bahne mir weiter den Weg in die Küche, mitten durchs Chaos. Ich träume von einer aufgeräumten, ordentlichen Wohnung, wo alles seinen Platz hat. Da würde ich mich wohl fühlen können.

Für mich ist jeder Tag etwas Neues, weil ich mir selbst keine Struktur geben kann. Das heißt: ich fange jeden Tag wieder bei Null an, kann nicht an vergangene Tage anknüpfen. Den einen Morgen brauche ich erst mal einen starken Kaffee um richtig wach zu werden, den nächsten Morgen verbringe ich die Zeit lieber im Bad. Dann wieder, am übernächsten finde ich, dass ein Morgenspaziergang mir gut tun könnte, oder ich gehe einkaufen. Manchmal frühstücke ich ganz lange, manchmal vergesse ich zu essen.

Eigentlich weiß ich nicht, warum ich etwas so oder so tue. Ich weiß nicht, wonach ich mich richten soll. Letztendlich entscheide ich immer aus dem Augenblick heraus. Bei allem was ich tue, bin ich unsicher, weil ich einfach nicht weiß, ob es richtig oder falsch ist. Ob ich nun abwasche, telefoniere oder mich mit dem Postboten unterhalte - es fühlt sich alles gleich an.

Wenn ich Termine einhalten muss, komme ich unter enormen Druck. Wenn ich zum Beispiel zu einer bestimmten Zeit irgendwo sein muss, scheint mir die Zeit davon zu laufen. Dann werde ich immer hektischer. Ich finde meine Sachen nicht, bin nur am Suchen. Manche Dinge, die ich mir schon zurecht gelegt hatte, kann ich plötzlich nicht mehr finden. Das lässt mich verzweifeln. Mein Stresspegel steigt dann auf Hundert. Manchmal bin ich dann so durcheinander, dass ich einfach nur dastehe und nichts mehr geht. Das heißt ich kann überhaupt nichts mehr. In meinem Kopf ist alles so durcheinander, dass ich sogar vergessen habe, was gerade ist. Es kann zum Beispiel passieren, dass ich vor der Kaffeemaschine stehe und nicht mehr weiß, wie man Kaffee kocht. Es scheint mir zu kompliziert. Wenn ich zu einem Termin muss und ein bestimmtes Kleidungsstück nicht finde, kann ich nicht einfach sagen, okay dann nehme ich eben einen anderen Pulli - nein! Ich muss den haben, auch wenn ich keine Zeit habe zu suchen, so kann ich doch nicht anders. Es ist als hänge mein Leben davon ab. Wenn die Suche erfolglos bleibt, steigert sich meine Wut immer mehr. ich fange an zu schreien, kann mich nicht mehr beherrschen.

In solchen Situationen bin ich tief verzweifelt und denke, dass ich eigentlich gar nicht mehr leben möchte, weil alles so sehr anstrengend ist. Ich fühle mich wie eine Zehnjährige in einem erwachsenen Körper. Ich brauche für alles was ich tue, sehr viel mehr Zeit wie andere. Ich kann nicht voraus planen, weil ich mir Zukünftiges nicht vorstellen kann und ich vergesse sehr oft, was ich getan habe. Ich kann aus Erfahrungen nicht lernen, weil ich mich nicht erinnere. Zum Beispiel passiert es mir immer wieder, dass ich vertrauensselig Leuten folge, die nett zu mir sind, ohne zu merken, dass ich mich gerade in Gefahr begebe. Hinterher ist es mir immer peinlich, wie dumm ich wieder war. Aber in einer anderen Situation mache ich genau das gleiche wieder.

Manchmal überlege ich, wie mein Leben ausgesehen hätte, wenn meine Mutter keinen Alkohol getrunken hätte, während sie mit mir schwanger war.

Vielleicht wäre ich Lehrerin geworden oder Ärztin oder Zirkusartistin. Ich hätte gerne eine Familie gehabt, meinen Kindern morgens die Schulbrote gemacht. Meine Mutter hat mir die Möglichkeit auf ein normales Leben von Anfang an genommen. Das macht mich sehr, sehr traurig. Sie hatte ihren Rausch auf Partys und ich habe ihn immer - ein Leben lang.


Autorin: Eine anonyme junge Frau mit FASD
(Quelle: Kinder spezial, Heft 40/2011 , Seite 21)


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